Stimme der
Orthodoxie

Internetversion der Zeitschrift "Stimme der Orthodoxie" der Russischen Orthodoxen Diözese Deutschlands des Moskauer Patriarchats

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"Stimme der Orthodoxie", 2/1999

Hl. Patriarch Tichon (1917-1925)

Gesetzt zum Wächter

Aus dem homiletischen Erbe der Verfolgungszeit

 

Geliebte Brüder,

wir haben soeben die Lesung des Evangeliums gehört die davon berichtet, wie unser Herr Jesus Christus zehn aussätzige Männer geheilt hat.

Aussatz ist eine furchtbare, schwere Krankheit, die häufig im Orient begegnet. Der Körper des Kranken ist mit Schwären und Eiterbeulen bedeckt, die Haut löst sich und fault, die Gliedmaßen fallen Stück für Stück ab (Ijob, 5,5). Das Ganze dauert mehrere Jahre lang! Die Betroffenen sehnen sich nach dem Tod, der aber verzieht; wie würden sie erleichtert aufatmen, wenn sie ein Grab fänden (Ijob 3, 21-22). Den Aussätzigen meidet jedermann. Die Verwandten verlassen ihn, seine Freunde vergessen ihn, ein Greuel ist er denen, die ihn früher liebten (Ijob 19,13.19).

Diese schmerzhaften Erfahrungen der Aussätzigen erinnert unwillkürlich an den schrecklichen Zustand, in dem sich unser geliebtes Heimatland befindet, das vom Leid so heimgesuchte Rußland. Sein Körper ist über und über mit Schwären und Eiterbeulen bedeckt, er stöhnt vor Hunger, und sein Blut wird in brudermörderischen Kämpfen vergossen; wie bei einem Aussätzigen fallen Teilgebiete ab - Kleinrußland (Ukraine), Polen, Litauen, Finnland. Bald wird von dem großen und mächtigen Rußland nur noch ein Schatten, ein Mitleid erregender Name übrigbleiben. Wie ist doch die Rute der Macht zerbrochen, der Stab des Ruhmes dahin (Jer 48,17)! Der große unter den Völkern, Fürst über viele Gebiete, wird zum Frohner. Bitter weint er des Nachts, und die Tränen fließen ihm über die Wangen. Da ist kein Tröster mehr von allen, die ihn liebten (Klgl 1,1 2). Einem Aussätzigen gleich hüllt sich unsere Heimat in Schande und Schmach, sie wurde zu Spott und Hohn für alle in ihrem Umfeld (Jer 48,39)!

Sie haben natürlich gelesen, wie zuweilen unsere ausländischen Verbündeten beim Auftauchen von Russen an Orten gesellschaftlichen Lebens eilig unsere Landsleute desavouieren, als fürchteten sie, sich zu infizieren. Und wir selbst grenzen uns nicht selten von denen zu Hause ab, die wir noch vor kurzer Zeit für unsere Verteidiger hielten und zu denen wir aufsahen mit Stolz und Vertrauen. So geschieht "eine Umwertung der Werte", hochbetrüblich für uns!

Wo aber ist der Ausweg aus der derzeitigen traurigen Lage? Immer häufiger erheben sich die Stimmen wohlmeinender Menschen, daß "nur ein Wunder Rußland retten kann". Das Wort ist wahr und jeder Akzeptanz würdig: Gott hat die Macht, unsere zugrundegehende Heimat zu retten.

Sind wir aber dieser Barmherzigkeit Gottes würdig, so daß unter uns ein solches Wunder geschehen kann? Aus dem heiligen Evangelium erfahren wir, daß Christus, der Erlöser, wegen des Unglaubens der Leute an manchen Orten keine Wunder tun konnte (Mt 13,58) und andererseits der Herr, als Er Seinen Jüngern die kommenden Nöte - Kriege, Hunger, Seuchen, Erdbeben beschrieb - auch davon sprach, daß um der Auserwählten willen diese schweren Tage verkürzt werden (Mt 24,22). Gibt es denn unter uns, liebe Brüder, wenigstens noch ein paar gerechte Männer, um deretwillen sich der Herr des Volkes erbarmt? Das weiß Gott allein! Wir aber erheben wie die Aussätzigen im Evangelium von ferne unsere Stimme und rufen: ,Jesus, du Lehrer, erbarme dich unser" (Lk 17,12 13). Daß man doch unter uns die Werke der Gerechten fände!

Wenn Du einen Gerechten rettest, was ist daran Großes. Wenn Du Dich eines Reinen erbarmst, was ist daran wunderbar? Denn würdig sind Deine Erbarmungen. Aber Dein Erbarmen komme über uns Sünder rette uns, bevor wir endgültig zu Grunde gehen.

Patriarch Tichon

4.(27.) Januar 1918.

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