Stimme der
Orthodoxie

Internetversion der Zeitschrift "Stimme der Orthodoxie" der Russischen Orthodoxen Diözese Deutschlands des Moskauer Patriarchats

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Stmme 1/1999 Russische Orthodoxe Kirche

 

Patriarch Aleksij II. von Moskau und ganz Rußland

Kein Gegensatz zwischen Glaube und Wissen

Antworten auf Fragen der Zeitung "Moskovskie Novosti"

- Ängste des 21. Jahrhunderts
- Glaube an Gott und Atheismus
- Brutalität und Toleranz
- Versuche zur Schaffung des Paradieses auf der Erde
- Diktatoren
- Langeweile
- Beziehungen zwischen Männern und Frauen
- Quellen menschlicher Freude

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Ängste des 21. Jahrhunderts

Es gibt so manche Tendenzen, die neue Ängste erahnen lassen, nicht nur solche, die illusionären Charakter tragen, sondern auch durchaus berechtigte. Beispielsweise führt die gegenwärtige Entwicklung der Weltwirtschaft immer stärker dazu, daß die schwere Arbeit

Hunderter von Millionen Menschen in der "zweiten und dritten Welt" zur Uneffektivität verurteilt ist, während ein grandioser aus Finanzspekulationen gezogener Gewinn der Bevölkerung der "ersten Welt" zugute kommt.

Eine andere, ebenso reale Gefahr, bricht angesichts der verantwortungslosen Einmischung des Menschen in seine eigene Natur auf. Das Klonen, verschiedene Manipulationen mit dem genetischen Code und dem Bewußtsein, die Aussicht auf Wesen, in denen sich die menschliche Natur mit der technogenen verbinden würde, können die Gesellschaft auf die stärkste Weise nicht nur spalten, sondern auch zu irreparablen Schäden der Erbanlagen und der Entartung der Menschlichkeit des einzelnen wie der gesamten Menschheit führen.

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Glaube an Gott und Atheismus

Zwischen Glaube und Wissen gibt es keinen Gegensatz. Zwar ist allen Jahrhunderten und Völkern der Streit darüber bekannt, ob man mystische Erfahrung mit wissenschaftlichen Daten belegen kann. Doch dies ist kein Streit der Religion mit der Wissenschaft, sondern vielmehr mit der Ideologie des Scientismus, der im Namen der Wissenschaft zu sprechen vorgibt. Vermutlich hat dieser Streit nie ein Ende: Die einen werden wissenschaftliche Entdeckungen als Gotteszeugnis interpretieren, die anderen als Rechtfertigung des Agnostizismus. Übrigens beeinflußt dieser Streit die religiöse Entscheidung des Menschen nicht allzu sehr. Glaube entsteht und festigt sich nicht infolge von rationalen Argumenten, Gott schenkt ihn dem Menschen auf geheimnisvolle Weise, selbst dann, wenn er sich unter rationalem Gesichtspunkt immer wieder von der Absurdität der Religion überzeugt hatte. Man kann sich selbst die Existenz Gottes beweisen, Wunder sehen und doch nicht ein gläubiger Mensch werden. Nicht von ungefähr heißt es, daß die Orthodoxie nicht bewiesen, sondern erfahren wird.

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Brutalität und Toleranz

Ob in der Welt weniger Brutalität herrschen wird, hängt davon ab, inwiefern die Menschen Koexistenz und Toleranz gegenüber Kulturen, Glaubensrichtungen, Überzeugungen und nationalen Besonderheiten lernen. Gewalt wächst gewöhnlich nicht von ungefähr. Sie ist Folge der Ungerechtigkeit, der Expansion und des Konfliktes verschiedener Interessen oder des Versuches, den Willen eines Menschen dem anderen aufzudrängen. Die modernen Beziehungen zwischen Staaten und Völkern sind nicht freundlicher geworden noch entbehren sie der Widersprüche. Die Konflikte wurden lediglich nicht auf dem Schlachtfeld ausgetragen, sondern in einer Atmosphäre brutalster politischer, ökonomischer, informationeller Konkurrenz, wodurch die Mehrheit der Menschen mit Entbehrungen und Leiden, ja auch mit

ihrem Untergang bedroht wird. Wenn sich hinter der Fassade der Demokratie eine Tendenz verbirgt, die einzelnen Persönlichkeiten, Gruppen oder Völkern die Hegemonie über andere verschafft, wird das letzten Endes in neue Revolutionen und Kriege münden, möglicherweise sogar in einen weltweiten Krieg. Das einzige, das meiner Ansicht nach die Beziehungen zwischen den menschlichen Gemeinschaften verbessern kann, ist entschiedener Verzicht auf alle Versuche gegenseitiger Umstrukturierung, wobei Rassen, Traditionen, Völkerschaften nicht nur in minimalen Rechten gleichgesetzt werden, sondern auch in den Möglichkeiten realer Teilnahme an Beschlußfassungen auf beliebiger Ebene. Ohne Achtung oder Toleranz gegenüber Gesetzen und Gepflogenheiten verschiedener Völker werden wir neue Gegnerschaften nicht vermeiden können.

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Versuche zur Schaffung des Paradieses auf der Erde

Der Traum vom irdischen Paradies hat mit unterschiedlicher Intensität die Menschen von Zeit zu Zeit ergriffen. Der Aufbau des Kommunismus ist eine dieser Variationen. An sich ist der Traum vom irdischen Paradies unter meinem Gesichtspunkt nur ein Zeugnis für das grenzenlose Potential des Guten, das Gott von Anfang an in den Menschen gelegt hat. Zugleich sprechen die Versuche seiner Realisierung deutlich von der menschlichen Unkenntnis göttlicher Offenbarung. Davon zu wissen und dem Willen Gottes zu widerstreben macht das Böse extrem deutlich. Verschiedene Lehren, darunter auch der Marxismus und der von ihm in sündiger Machtbesessenheit hervorgebrachte Bolschewismus, wurden für diese Wunschvorstellung in Anspruch genommen. Die unabänderlichen Gesetze göttlicher Fügung ließen den Versuch einer Verwirklichung des kommunistischen Traumes umschlagen zunächst in totalitäre Gewalt und später entsprechend der natürlichen Ermüdung des ideologischen Imperiums in den Gedanken des Aufbaus des Kommunismus (d.h. des Paradieses) "in einem einzelnen Land". Als letztes Alibi für die untragbare Idee sollten die Gebote Gottes herhalten, nachdem sie in "den moralischen Kodex eines Erbauers des Kommunismus" umformuliert worden waren. Den Wunsch, Gott durch sich zu ersetzen und Vollstrecker des Schicksals der ganzen Schöpfung, der Menschheit oder eines einzelnen Menschen zu werden, hat der Herr immer wieder zu Schanden werden lassen. Deshalb müssen auch alle neuen Versuche solcher Art scheitern, obgleich sie immer wieder unternommen werden. Auf welcher politischer, nationalistischer, technokratischer und ökonomischer Basis der neue babylonische Turm errichtet werden mag, auch ihn wird die menschliche Sündhaftigkeit zerstören, die zu besiegen wir ohne Gott nicht imstande sind.

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Diktatoren

Immer wieder kommt es vor, daß ein Land oder ein Staatsmann potentiell als ge6hrlich erklärt wird, wie das heute häufig geschieht. Gebe Gott, daß die Bedrohung des Friedens niemals von Rußland ausgeht. Übrigens ist weder in unserem Lande noch sonstwo jenseits seiner Grenzen das potentielle Auftreten nationaler oder globaler Gruppen ausgeschlossen, die das Recht für sich in Anspruch nehmen, ihren Willen diktieren zu können. Menschen, die die gottgegebene Freiheit anderer zu begrenzen suchen, gibt es wie eh und je. Der Hauptunterschied zu den Diktatoren der Vergangenheit besteht wohl darin, daß die Mittel zur Erreichung ihrer Ziele andere geworden sind. Wenn es früher das Militär und ein repressiver Apparat war, können das jetzt durchaus neue ökonomische und informationelle Technologien sein, durch die wissenschaftliche Errungenschaften mißbraucht wurden.

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Langeweile

Ich meine, auch im kommenden Jahrhundert werden sich die Menschen zu beschäftigen wissen. Langeweile ist Sache nur einiger sozialer Schichten, und zwar vorzugsweise in den wohlhabenden Ländern. Anzunehmen, daß mit dem Eintritt eines neuen und dem Ende dieses Jahrhunderts die Probleme in der Welt weniger zahlreich werden, dürfte etwas naiv sein. Die Geschichte kennt etliche Gesellschaften, die alles erreicht und alle Schwierigkeiten und Widersprüche überwunden zu haben glaubten. Aber gerade in diesem Augenblick begann für sie die eigentliche Krise. Nicht von ungefähr heißt es in der Bibel: "Wenn sie sagen werden: 'Frieden und Sicherheit' , wird sie das Verderben unversehens ereilen..." (1 Thess. 5,3). Rational wird das Wesentliche bis zuletzt unerkannt bleiben: der eigentliche Sinn menschlicher Existenz, sein Anteil an der Ewigkeit, seine Beziehung zu Gott und in bestimmtem Maße zu anderen Menschen. Im Verständnis dieser Bezüge des persönlichen Lebens können wir nur mit zunehmender Information, äußerer Lebenserfahrung und wissenschaftlicher Erkenntnisse wachsen. Nie aber werden wir sagen können, daß wir alles erkannt haben. Als Christ und Hirte glaube und weiß ich, daß die Antwort auf diese Fragen der Menschen allein der Herr offenbaren kann.

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Beziehungen zwischen Männern und Frauen

Leider hat das scheidende Jahrhundert nicht wenige Mahnrufe ausgeschlagen, zu den von gottgegebenen sittlichen Werten zurückzukehren, auf denen würdige Beziehungen der Geschlechter und eine starke Familie fußen, in ihr allein ist eine vollwertige Erziehung möglich. Die aufdringliche Propaganda des Lasters und der Ausschweifung, die erschreckende Zahl von Ehescheidungen, Abtreibungen und verstoßenen Kindern sowie die in letzter Zeit zunehmende Polemik angesichts sogenannter Alternativformen der Familie nötigen zu ernsthaftem Nachdenken, wie zukünftigen Generationen ein vollwertiges Leben bewahrt werden kann. Gelingt es der Menschheit nicht, mit dieser zerstörerischen Tendenz zu brechen, muß weil jede Sünde nicht nur die Persönlichkeit, sondern auch die Familie und die Gesellschaft zerstört - die Zivilisation geraden Weges im Verfallen enden. Die Lehre der Kirche und die geschictliche Erfahrung verschiedener Völker warnen eindrücklich davor.

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Quellen menschlicher Freude

Abgesondert zu leben ist das Los der Erwählten. Der von Menschen, die sich abgekehrt haben von der Eitelkeit der Welt, um für sie zu beten und in der Einsamkeit über das Ewige zu meditieren, sind für die Menschen "in der Welt" von großer Bedeutung. Ich hoffe, daß die Zahl derer zunimmt, die im Glauben, in einer religiösen Motivation für ihre Handlungen, den eigentlichen Sinn des Lebens sehen. Alles übrige - die Familie, das Trachten nach geschäftlichem oder anderem schöpferischen Erfolg, die Möglichkeit interessanter Freizeitgestaltung - wird es wohl im Leben der Menschen ebenso geben wie bisher. Relevant bleibt, daß die Menschen auf jedem dieser Lebensgebiete das ewige Sittengesetz als Grundlage eines würdigen und erfüllten Lebens beobachten.

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